In den vorangehenden Seminaren zu einem organisatorisch durchgeführten Auslandsaufenthalt wird man darauf vorbereitet, dass man die Zeit häufig in einer recht gleich aussehenden Stimmungskurve beschreiben kann.
Die erste Zeit/Honeymoon Phase:
Ich komme an und alles ist aufregend. Von Heut auf Morgen bin ich aus dem gerade kalt werdenden Heimathafen Berlin in ein Land des globalen Südens gezogen.
Ich bin in den Tropen. Die Hitze in Kombination mit der hohen Luftfeuchtigkeit drückt. Ich wünschte mir die Kleidung wäre nie Erfunden.
Die Kultur, in der ich hier lebe, ist eine komplett Andere als die aus der ich komme. Die Sprache auch.
Ich spreche sie nicht und blubbere einen bunten Mix aus den wenigen brocken Spanisch und wahlweise Französischen und Englisch Vokabeln die mir plausibel erscheinen, natürlich irgendwie spanisch ausgesprochen, daher.
Die Arbeit die ich mache ist komplett anders und das gefühlte Gegenteil von dem was ich mein komplettes Leben davor, zumindest die letzten 12 Jahre in der Schule, gemacht hab.
Man kann es sich vorstellen.
Es gibt genügend Aufregendes zu entdecken, bevor man seine ersten Probleme bewältigen muss, die sich im schlimmsten Fall häufen und einen die Heimat, die Familie, Freunde und Nutella, dass man vorher eigentlich fast nie gegessen hat, extrem vermissen lässt.
Dann ist man in der zweiten Phase angekommen, dem Low das nach dem ersten High kommt. Das eine solche Phase eintritt ist normal, die Frage ist nur wie stark ausgeprägt sie ist.
In meinem Auslandsjahr in den USA zum Beispiel habe ich sie kaum mitbekommen. Nach der anfänglichen Eingewöhnungsphase hatte ich gute Freunde gefunden, die Snowboardsaison fing an, ich hatte mein Kunstspringertraining, meinen entspannten Unterricht, liebenswerte Gastfamilie, etc.
Kurzum, war ich dort nach der Eingewöhnungsphase auch irgendwie angekommen, hatte meinen Platz gefunden und mich mit dem was ich machte angefreundet und hatte eine abwechslungsreiche Zeit.
Anders war es dieses Mal.
Das Zusammenspiel vieler verschiedener Faktoren hat dafür gesorgt, dass ich es nicht so leicht hatte. Das hängt zum Einen mit der Sprache zusammen, die schließlich der Schlüssel zu den Menschen ist,
Zum Anderen mit den geophysischen Gegebenheiten und der Stadt, aber dazu später mehr.
Ich konnte vor der Abreise gerade eine Hand voll Vokabeln und hatte mich der Empfehlung eines Freundes leider nicht angenommen und vorher schon einen Spanischkurs angefangen.
Auch wenn man schnell lernt, kommt man meist nicht umhin in einige Missverständnisse verwickelt zu werden.
Bei mir haben die sich in der Gastfamilie so stark angehäuft das ich nun schlussendlich Ausziehen sollte und dies auch gern gemacht habe.
Ich habe in meiner Arbeitsstelle das ein oder andere falsch gemacht und mich das ein oder andere Mal mit meinen Chefs gestritten. Ich hatte unentspannte Arbeitszeiten, Montags bis Samstags, und jeden Tag so, dass ich fast nur für die Arbeit aus dem Haus gegangen bin.
So hatte ich am Wochenende meist keine Zeit um mal raus ins Grüne zu kommen.
Die nächsten angenehmen und interessanten Orte, wie Samaipata in den Bergen oder die heißen Quellen von Roboré sind eine gute halbe Tagesreise entfernt.
Schnell fing ich an die Stadt zu erkunden und hielt dabei insbesondere nach Parks und Grünflächen Ausschau.
Allerdings ist das Verständnis von Parks hier ein anderes als bei uns. (BILD von Park)
Wie man sich sicher vorstellen kann ist das nach einer Zeit ziemlich deprimierend.
Ich wusste mir fehlt hier etwas konnte es aber lange nicht betiteln.
Dann kam La Paz um kurz nach Weihnachten. Mein erster längerer Urlaub, der mir ziemlich gut getan, und mir einiges offengelegt hat.
Ich sah auf einmal wieder Relieff und hohe Berge auf dem Weg dahin. Und in La Paz angekommen war alles so durcheinander und unstrukturiert. Die Straßen verlaufen nicht gerade wie Lineale und gehen mal steil bergauf oder bergab. Man hat Treppen die, die Kesselwände von La Paz hinaufführen und bekommt desöfteren atemberaubende Aussblicke über die Dächer der Stadt.
Die Temperatur Tagsüberwar jetzt in den Sommermonaten sehr angenehm und die abends einsetzende dämpfende Kühle war ein lang vermisstes kleines Detail.
Santa Cruz war mein Problem. Die Stadt hatte mich verschlungen und mir mein Freiheitsgefühl genommen.
Ich fing an mit Wechselgedanken zu spielen.
Anekdote:
Es ist schon Interessant was für eine Auswirkung das Klima, Stadtbild und die geologischen Gegebenheiten auf das Lebensgefühl und die Psyche haben können. Es ist mir vorher nie so bewusst geworden, aber diese Faktoren machen neben den Einwohnern den Charakter einer Stadt aus. Wenn man sich dann täglich mit diesem Stadtcharakter konfrontiert sieht, wird der eigene Charakter davon geformt.
‘Berlin ist schuld’, ist eine phrase die ich mal auf einem Aufkleber gesehen habe.
Ich verstehe das als eine (scherzhafte) Entschuldigung für die Entwicklung bestimmter eigener Charakterzüge aufgrund des Stadtcharakters.
Berlin ist dabei eine sehr besondere Stadt für mich.
Man hat vor allem einzigartig viele Parks und Grünflächen im Stadtbereich. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten und das Aussehen verschiedener Stadtteile nimmt ein viel weiteres Spektrum an als ich es hier erlebe.
Deshalb sehe ich es für mich so:
Santa Cruz ist schuld, dass mein Lebensgefühl hier gerade nicht so geil ist, aber vor allem ist
Berlins Prägung schuld, dass mein Lebensgefühl hier gerade nicht so geil ist.
Hach ich vermiss deinen Charakter Berlin!
Kurz nach Neujahr bin ich in eine unorganisiertes Projekt zurückgekehrt.
Eigentlich sollte ein zweiter Teil von der bereits im Dezember, am Anfang der Sommerferien, durchgeführten ‘Escuelita de Arte’ stattfinden.
Die wurde allerdings vorher nicht Promotet wodurch wir zum Ende der ersten Woche kaum, bis immer noch keine Kinder in den Kursen eingeschrieben hatten. So hatte es sich mit dem Zwischenseminar das eine Woche später angefangen hat nicht mehr wirklich gelohnt etwas anzufangen.
Lange Weile stellte sich ein, mit einer immer größer werdenden Vorfreude auf das bevorstehende Seminar.
In Sucre, auf dem Seminar, manifestierte sich mein Wunsch zu wechseln. Auch hier hat die unmittelbare Natur mehr zu bieten und das Klima hatte es mir angetan. Eher gemäßigt, nicht so heiß wie in Santa Cruz.
Ich habe außerdem Gemerkt, dass die Luft um einiges besser ist und man nicht die ganze Zeit high von den Abgasen wird. Vorteilhaft bei meiner zwar subtilen, aber dennoch chronisch diagnostizierten Bronchitis, dachte ich mir.
Auf dem Zwischenseminar kam auch Fernando vorbei, der BKHW Chef in Bolivien ist und gab uns einige Infos. In seinem Vortrag sprach er auch die Wechselthematik an, die bei unserem Jahrgang eine größere Rolle zu spielen scheint und das dies zwar schwierig, aber nicht unmöglich sei.
In einem späteren Privatgespräch mit ihm meinte er zu mir, dass man schauen müsste welche Probleme ich hätte, und wenn die nicht zu lösen wären, ein Wechsel natürlich möglich wäre.
Cool, dachte ich mir.
Gründe hatte ich schließlich genug.
Ich hatte durch die anfängliche Sprachbarriere, dem fehlende Kulturverständnis und den daraus resultierenden Missverständnissen bei vielen Leuten in meinem Umfeld keinen Stein im Brett.
Hinzu kamen die weniger relevanten Probleme im Projekt sowie meine Sorgen um meine Lunge, die mir mein Lungenarzt mit einem Attest als unzumutbar bescheinigt hat,
und die eher relevante psychische Belastung durch ein fehlendes Freiheitsgefühl in den Straßen von Santa Cruz.
Angetan von Sucre blieb ich nach dem Seminar ein wenig länger und nahm die Chance war mir zwei der Projekte dort anzuschauen. Dabei stellte sich heraus, dass in dem einen von beiden, das was mir besser gefiel, ein Freiwilligenplatz frei war, und ich laut Verwalter und der ehemaligen Chefin (das Projekt hat Aktuell keinen ‘Chef’) gerne gesehen würde. Genug Arbeit gäbe es und auch eine Wohnung oder Zimmer hätte man für mich.
Geil, dachte ich mir.
Guter Dinge machte ich mich nach meiner Rückkehr daran meine Gedanken zu ordnen und eine e-Mail zu verfassen die meine Situation hier beschreibt und inkludierte meine neu gewonnen Erkenntnisse über die mögliche Freiwilligenstelle in Sucre. Sie ging raus an den Chef in Deutschland, da in einem ähnlichen Fall ein guter Freund und Mitfreiwilliger so schon eine Zusage bekommen hatte, und ich mich mit meinen Koordinatoren hier wegen meiner vorherigen Problemchen nicht auf einer Wellenlänge sah.
Nichtsdestotrotz entschied ich mich am nächsten Tag sie doch noch weiterzuleiten an Fernando in Sucre und meine Koordinatoren Kathrin und Toti hier.
Aufgeregt schaute ich in den nächsten Tagen mehrmals täglich in mein Postfach.
Die Antwort ließ lang auf sich warten und wurde mir bei einem privaten Treffen in der Innenstadt beigebracht.
Ich dürfe nicht wechseln. Das habe es noch nie gegeben mit Stadtwechsel und dieses Jahr wollen es gleich 4 Freiwillige machen. Es sei ein Präzedenzfall und man wolle es generell nicht zulassen. Sonst kämen ja am Ende alle an und wollen das. Man fühle sich überfahren und durch meine Recherchen vor vollendete Tatsachen gestellt. Ich würde dort doch nur wieder in andere Fettnäpfchen treten. etc…
Letztendlich haben wir gute 3 Stunden diskutiert und mir blieb am Ende nichts anderes üblich als einzulenken. Einen kurzzeitigen Aufenthalt von 1-2 Monaten um mal ein wenig Abstand von Santa Cruz zu bekommen wollte man mir auch nicht gewähren. Man ließ nicht mit sich Reden.
Ich finde das heute weniger deshalb dramatisch, dass ich persönlich nicht wechseln darf als eher das man es generell nicht gestatten möchte. Natürlich müsste man sich jeden Fall im Einzelnen anschauen, aber wenn man echte Gründe hat und diese sich nicht anders Lösen lassen, sehe ich eine Organisation in der Pflicht sich eines solchen Falles anzunehmen.
Und natürlich kann man immer auch einfach sagen, dass man auch mal mit scheiß Situationen klarkommen muss, das muss man wohl. Aber wenn man eigentlich sieht, es geht, und es das dann nicht tut, weil man die koordinatorische Arbeit nicht leisten möchte, fühle ich mich im Stich gelassen.
Da ich mich nun mit dieser Situation arrangieren muss setze ich alles daran mir die Umstände hier zu verbessern. Das hat auch schon eine gute Richtung eingeschlagen, da wir im Projekt eine neue Aufgabe für mich gefunden haben, die ich nun halbwöchentlich mache. Ich helfe einem mit den Kollektiv verknüpften Künstler dabei seine Werkstatt mit aufzubauen in der er bildhauerisch tätig ist und in naher Zukunft Metalle wie Bronze einschmelzen und Skulpturen gießen möchte.
Die Stimmungskurve steigt wieder an, ich erhole mich.